Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Bernhard H. F. Taureck, Sie haben ein Manifest des veganen Humanismus geschrieben. Wieso der Begriff „Manifest“? Stehen die Begriffe vegan und Humanismus nicht im Widerspruch?
Wäre es nicht einfacher auf den Begriff des Humanismus, der mit der Unterordnung des Tieres unter die Bedürfnisse des Menschen assoziiert ist, zu verzichten?
Manifest beruht auf dem lateinischen Wort manifestus, offenbar werden. Ein Manifest hat die Aufgabe, Missstände offen zu legen und Vorschläge zu ihrer Behebung zu unterbreiten. Das von mir verfasste Manifest des Veganen Humanismus versucht beide Aufgaben zu erfüllen. Es zeigt die karnivoren Gesellschaft als Sackgasse auf und schlägt ein Ende aller Tiernutzung als Alternative vor. Die Frage nach dem Verzicht auf Humanismus beruht auf einer typischen Fehleinschätzung, die der traditionelle Humanismus erfolgreich verursachte. Humanismus etablierte die Vorstellung einer schrankenlosen Aneignung, Bemesseung und Wertung von allem durch den Menschen. Dabei wurde übersehen, dass wir Menschen die Möglichkeit und die Fähigkeit besitzen, auf eine unbegrenzte Aneignung Verzicht zu leisten und zu unterscheiden zwischen dem, was uns Menschen und was den Tieren zukommt. Humanismus schließt nicht Anthropozentrismus ein. Es kommt darauf an, begrenzte Humanismen zu konzipieren. Ein unbegrenzter Humanismus würde die Erde zu einem Massengrab nicht nur der Tiere, sondern der Menschen selbst werden lassen. Die ökologisch mörderischen Folgen unserer Gier nach Tierfleisch sind bereits heute erkennbar. Die Menschen sind weder auf tierische Nahrung, noch auf tierische Kleidung noch auf tierische Muskelkraft angeweisen. Die Nutzung und Vernutzung von Tieren ist nicht, wie unsere Gewohnheiten, die Ernärungswissenschaft und die Tierverarbeitungsindustrie uns lange Zeit weismachen wollte, etwas Unvermeidbares.
Wir sind, wenn man heutigen Ernährungs- Empfehlungen folgt, nur einmal in der Woche Fleisch zu essen, bereits auf einem Entnutzungsweg. Auf dieses eine Fleischmahl kann auch noch verzichtet werden. Die Voraussetzung dabei ist das Bewusstsein, dass und inwiefern Entnutzung ethisch verbindlich ist. Zu dieser Einsicht versucht das Manifest des Veganen Humanismus zu führen.
Wir leben in einer Zeit erneut eskalierender Kriege und massiver Fluchtbewegungen, die durch Kriege, Zerstörung und Elend ausgelöst werden. Welche Antwort würden Sie Menschen geben, die fordern, wir sollten uns zu allererst um den Menschen kümmern?
Die Ansicht, dass wir uns primär um den Menschen zu kümmern haben, übersieht, dass Menschenelend in zweierlei Hinsicht an das menschenerzeugte Tierelend gebunden ist. Zum einen endet die Verrohung, die wir gegenüber Tieren beweisen, nicht bei diesen. Sie greift als agressive Einstellung leicht auf unser Verhältnis zu anderen Menschen über. Zum anderen wäre der jährliche qualvolle Tod von Millionen Menschen an Folgen der Unterernährung vermeidbar, wenn wir auf Entnutzung setzten und kein Schlachtvieh mehr mit Soja zu füttern hätten, das für die hungernden Menschen nicht zur Verfügung steht.
Eine persönliche Frage: Wie kamen Sie dazu, sich mit der veganen Lebensweise auseinanderzusetzen?
Ich sehe im Rückblick mein Leben im Hinblick auf Ernährung als einen langen Weg des Lernens, der mich zu der ethisch zwingenden Konsequenz führte, dass die Tötung von Tieren, um sie zu verzehren, für uns Menschen auf keiner anderen Begründung als des Wohlgeschmacks beruht. Ich musste feststellen, dass der im 17. Jahrhundert von La Rochefoucauld formulierte Satz „Man verzichtet eher auf sein Interesse als auf seinen Geschmack“ nicht nur gilt, sondern zur Grundlage unserer unverantwortlichen Ernährungsgewohnheiten wurde.
Zum ganzen Interview mit Prof. Dr. Bernhard H. F. Taureck geht es hier.
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